von Julia Schmelter
Nachdem sich die Bundesregierung nach monatelangen Verhandlungen vor knapp vier Wochen schließlich auf ein Lieferkettengesetz geeinigt hat, legt die EU nun nach. Am 10. März stimmte eine große Mehrheit der parlamentarischen Abgeordneten in Brüssel für eine deutlich weitreichendere Sorgfaltspflicht von Unternehmen entlang der Wertschöpfungsketten.
Kompromiss der Bundesregierung stößt auf Gegenwehr
Bereits beim deutschen Minimalkonsens äußerten Wirtschaftsverbände scharfe Kritik an dem Vorhaben, deutsche Unternehmen zukünftig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Dabei haben BDA, BDI, DIHK und ZDH mit einem Brandbrief schon im Dezember letzten Jahres ihrem Missfallen Ausdruck verliehen und ihren Einfluss geltend gemacht. Das deutsche Gesetz soll laut Gesetz erst 2023 für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten und für Firmen ab 1000 Beschäftigten ab in Kraft treten. Millionenstrafen können drohen, wenn sie nicht „in angemessener Weise“ Menschenrechtsverstößen entlang der Lieferkette entgegenwirken. Die Formulierung bleibt vage, womit rechtlichen Grauzonen den Weg geebnet wird. Zudem sollen Opfer von Menschenrechtsverletzungen keine Möglichkeit bekommen, auf Grundlage des deutschen Gesetzes selbst Klage einzureichen und auch der Umweltschutz wurde ausgeklammert.
Die Forderungen des EU-Parlaments
Menschenrechtsorganisationen, Umweltverbände und Kirchen kritisieren die ablehnende Haltung der Wirtschaftsverbände und bewerteten die Einigung der deutschen Regierung als zu lasch. Die Abstimmung des Europäischen Parlaments über die Prioritäten für ein europäisches Lieferkettengesetz geben hingegen Anlass zu Hoffnung auf eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Umweltstandards weltweit. Im aktuellen Entwurf spricht sich die Mehrheit der Parlamentarier*innen für Sanktionen gegen Unternehmen im Falle von Menschenrechts- und Umweltverstößen und für rechtliche Unterstützung für Geschädigte aus. Produkte, die mit Zwangs- oder Kinderarbeit in Zusammenhang stehen, sollen verboten werden. Darüber hinaus sollen neben den Großunternehmen auch börsennotierte, kleine und mittlere Unternehmen mit hohem Risiko sowie mittelbare Zulieferer und Subunternehmer*innen von EU-Firmen in Risiko-Branchen wie der Textilindustrie ihrer Verantwortung gemäß den Regelungen im Lieferkettengesetz nachkommen müssen. Ungleich des deutschen Gesetzesentwurfs soll der europäische außerdem strenge Haftungsregeln beinhalten, die Firmen zu finanzieller oder nicht finanzieller Entschädigung verpflichten können, wenn Menschenrecht oder Umwelt in Mitleidenschaft gezogen werden. Zu den Menschenrechtsverletzungen zählt die Gesetzesinitiative explizit auch soziale, gewerkschaftliche und arbeitsrechtliche Rechte.
Meilenstein oder verpasste Chance?
Es kann davon ausgegangen werden, dass die EU-Kommission Abstriche machen und das finale Gesetz weniger bahnbrechend sein wird als die Parlaments-Abgeordneten es vorgeschlagen haben. Vor allem die deutschen Wirtschaftsverbände werden weiterhin Druck auf politische Entscheidungsträger*innen ausüben, um möglichst wenig Sorgfaltspflichten für Unternehmen einzuführen. Argumente gegen ein fortschrittliches Lieferkettengesetz werden die schon bestehende finanzielle Belastung durch die Corona-Pandemie und das viel zitierte Bürokratiemonster sein, sowie der marktwirtschaftliche Nachteil, der durch die Eingriffe in den freien Handel entsteht. Nichtsdestotrotz kann sich die Kommission nicht mehr hinter wohlwollenden Worten und dem Verweis auf Selbstverpflichtungen von Unternehmen verstecken. Erstens muss die EU, die sich als Wertegemeinschaft versteht, für Menschenrechte einstehen und Maßnahmen ergreifen, dass Menschenrechtsverletzungen Einhalt geboten wird, die von europäischen Unternehmen zu ihrem Vorteil in Kauf genommen werden. Zweitens hat auch die Kommission eingesehen, dass Umweltschäden andernorts zu kurz- und langfristigen Auswirkungen auf unser Leben in Europa hat und wird sich daher auch beim Lieferkettengesetz dem Umweltschutz annehmen müssen.
Noch können wir nicht im Detail wissen, was der finale Gesetzesbeschluss über ein Lieferkettengesetz beinhalten wird, den die EU-Kommission nun zeitnah vorlegen muss. Doch schon jetzt lassen sich wesentliche Forderungen vermissen, die für eine konsequente Durchsetzung von Menschenrechts- und Umweltstandards essenziell sind, und welche die JEF Deutschland in ihrem Beschluss ‚Unserer Verantwortung gerecht werden – Für Menschenrechte und Umweltschutz entlang der Lieferketten‘ von November 2020 fordern. Transparenz etwa hinsichtlich der Lieferketten von Unternehmen sowie die Umsetzung ihrer Sorgfaltspflicht sollten verpflichtend sein. Des Weiteren muss besonders auf den Schutz vulnerabler Gruppen eingegangen werden. Dazu gehören insbesondere auch indigene Völker, deren Lebensräume respektiert werden müssen. Grundlage für das Gesetz soll die Charta der Menschenrechte der Europäischen Union sein. Außerdem reicht es nicht aus, wenn Unternehmen auf umweltbelastende Materialien und Produktionsweisen verzichten. Sie sollen darüber hinaus weitestgehend klimaneutrale Energiequellen nutzen, die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien fördern sowie an der Aufklärung über Umwelt- und Klimaschutz beitragen. Die Umweltstandards sollen an den Beschlüssen des Pariser Klimaabkommens und den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen ausgerichtet sein. Nicht weniger wichtig sind das Recht auf Kollektivverhandlungen mit Unternehmen, dem Produktionsland entsprechende existenzsichernde und faire Löhne und die Gewährleistung sozialer Sicherungssysteme. Zu weiteren Regelungen sollten die Internationalen Arbeits- und Sozialstandards der Vereinten Nationen dienen.
Sollte das Lieferkettengesetz so, wie es das Europäische Parlament vorschlägt, unerwartet durchkommen, wäre dies ein großer Schritt in die richtige Richtung, hin zu menschenwürdigeren Arbeitsbedingungen sowie zu sozialeren und demokratischeren Gesellschaften weltweit. Selbst mit kleinen Abstrichen wird der Gesetzesvorstoß wahrscheinlich dennoch über das Lieferkettengesetz der deutschen Bundesregierung hinausgehen und dazu beitragen, negativen Auswirkungen der globalisierten Wirtschaft entgegenzuwirken. Es führt kein Weg mehr daran vorbei: Die Wirtschaftsverbände müssen sich damit abfinden und die deutschen Unternehmen können die Zeit bis zum Beschluss auf europäischer Ebene dazu nutzen, Maßnahmen Schritt für Schritt in Gang zu setzen. Diese stufenweise Verschärfung der Sorgfaltspflicht kann sich sogar als Wettbewerbsvorteil erweisen. Gleichwohl wurden auch von den EU-Parlamentarier*innen nicht alle realisierbaren Wege, die einen umfassenden Schutz von Mensch und Umwelt durch europäische Unternehmen zum Ziel haben, welche damit ihrer globalen Verantwortung nachkommen würden, gegangen. Das ist bedauernswert, war aber mit Blick auf die derzeitige Wirtschaftsordnung absehbar.