Schottland – UK – EU: Perspektivwechsel mit D. Norris und D. McAllister

Die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich spalte Familien und Nachbarschaften, so David McAllister am 07.11.2019 im LZO-Forum der Volkshochschule Oldenburg. Im Rahmen der oldenburgischen Veranstaltungsreihe „Begegnungen 2019 – United Kingdom“ konnten die zahlreichen ZuhörerInnen am Donnerstag vergangener Woche die Perspektiven der schottischen Nation im Zusammenhang mit Brexit und Europäischer Union kennenlernen. Zumindest einen Ausschnitt davon. Unter der Moderation von Peter Meiwald als Vorstandsvorsitzendem der Europäischen Föderalisten Oldenburg traf der Halb-Schotte David McAllister (MdEP) auf den Voll-Schotten und Unternehmer Douglas Norris, dessen Kinder ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Strikt neutral und stinksauer

In der schottischen Unabhängigkeitsfrage sei er strikt neutral, so McAllister. Da es sich um eine innerbritische und innerschottische Angelegenheit handelt, fällt eine Stellungnahme dazu auch nicht in seinen Aufgabenbereich als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. Das ist jedoch nicht der einzige Grund für seine Zurückhaltung. Es geht auch darum, den Familienfrieden zu wahren, denn in dieser Frage herrscht keineswegs Einigkeit in der schottischen Verwandtschaft – wie in vielen anderen schottischen Familien und Nachbarschaften. Ganz und gar nicht neutral sei er dagegen in der Frage des Brexits, stellte er vehement klar. Ganz im Gegenteil, stinksauer sei er auf die verantwortungslosen Politiker, die behauptet hatten, ohne die EU sei für das Vereinigte Königreich alles einfacher. Zwei der vier zughörigen Nationen, Schottland und Nordirland hatten 2016 mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt, die anderen beiden, England und Wales, dagegen. Genau da liegt der Knackpunkt für Douglas Norris.

Keine Partnerschaft auf Augenhöhe

Für Douglas Norris ist des Brexit-Referendum ein Beispiel für die mangelnde Augenhöhe im Vereinigten Königreich. Bei wichtigen Entscheidungen, die die Zukunft aller vier Nationen betreffen, habe eben nicht jede Nation eine gleichgewichtige Stimme. Im Brexit-Fall hätte es aus seiner Sicht schon reichen müssen, wenn eine Nation gegen den Austritt ist.  Und was bedeutet es nun, wenn der Brexit vollzogen wird? Wollen die Schotten dann ein zweites Schottland-Referendum? 2014 hatte etwas mehr als die Hälfte der Schotten für einen Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Natürlich wollen nun nicht alle Schotten das gleiche. Doch eigentlich wolle niemand schon wieder ein Referendum. Niemand hätte schon wieder Lust auf irgendwelche Abstimmungen. Trotzdem würde es notwendig sein, ist Norris überzeugt.

Neue Voraussetzungen erfordern neues schottisches Referendum

Das schottische Referendum 2014 hat, da sind sich Norris und McAllister einig, auf einer völlig anderen Informations-Basis stattgefunden als das Brexit-Referendum 2016. Die schottische Bevölkerung hatte sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt, bevor sich über 80% der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligten. Ein Grund, der für den UK-Verbleib sprach, war die damit zusammenhängende EU-Mitgliedschaft.  Genau die soll nun jedoch durch die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich verloren gehen und wäre nur als unabhängige Nation wiederzuerlangen. Dieser veränderten Situation müsste, so Norris, durch ein erneutes Referendum begegnet werden. Ob das möglich sein wird und was mit dem Brexit weiter passiert, dürfte stark von den britischen Unterhauswahlen am 12.12.2019 abhängen. Wie geht es dann wohl mit dem Brexit weiter?

Brexit-Prognose: Alles ist möglich

Nach all den bisherigen Ereignissen behauptete am 07.11.19 niemand auf dem Podium oder im Publikum, die Brexit-Zukunft vorhersagen zu können. Schotte und Halb-Schotte rechnen damit, dass es auch nach den Unterhauswahlen keine klare Regierungsmehrheit gibt. Dazu, dass das ganze Thema sehr emotionsgeladen ist, kommt noch das Mehrheitswahlrecht, das grundsätzlich gut für Überraschungen ist. Entscheidend wird im Dezember zunächst das Wahlverhalten der EngländerInnen sein, erläuterte McAllister und erklärte die vier politischen Angebote, aus denen sie wählen können: Da ist zum einen Nigel Farage, der den Brexit um jeden Preis will, während die Tories den zuletzt vorgelegten Deal durchbringen wollen, die Liberal Democrats den Austrittsantrag zurückziehen möchten und die Labour-Leute sich nicht übermäßig klar äußern, am ehesten jedoch ein zweites Referendum anstreben.

Könnte sogar der Brexit noch gestoppt werden?

Zunächst einmal ist es rechtlich möglich, dass das Vereinigte Königreich den Austrittsantrag aus der EU zurückzieht. Sollte es ein zweites Referendum dazu geben, dann wären die Jungen dabei, meinen sowohl  Norris als auch McAllister. Letzterer nimmt vor allem drei Gruppen in der UK-Bevölkerung wahr: Die erste Gruppe (Remain-Gruppe) möchte unbedingt doch noch irgendwie in der EU verbleiben, ihr Gegenpol möchte sie unbedingt endlich verlassen (Brexiteers), und dazwischen gibt es eine große Menge an Menschen, die das Thema einfach nicht mehr hören mögen und endlich wieder Politik möchten, die all die wichtigen anliegenden Entscheidungen trifft. Auf diese Gruppe würde es wohl ankommen.  Völlig hoffnungslos bezüglich eines UK-Verbleibs in der EU  waren Norris und McAllister letzte Woche nicht.

Dann hätte Norris noch immer gerne ein unabhängiges Schottland, aber ein zweites schottisches Referendum würde es dann nicht unbedingt geben.  Als „Separatist“ möchte er sich jedoch nicht bezeichnen lassen, denn es geht ihm nicht um die Abspaltung, sondern um ein neues Miteinander auf Augenhöhe. Ein EU-Beitritt eines unabhängigen Schottland wäre denkbar, auch da waren sich Norris und McAllister einig, nur den zeitlichen Horizont sieht Norris deutlich optimistischer als der Abgeordnete.

Gelungener Perspektivwechsel und Wunsch nach fortgesetzten Begegnungen

Je nach Vorwissen konnte der Abend dem Publikum zusätzliche Klarheit geben – nicht darüber, was im Vereinigten Königreich passieren wird, aber darüber, wie die Optionen aussehen und wie sich die Zusammenhänge für die Schotten gestalten. Und was ist mit Nordirland? Ja, auch dazu wäre schnell ein Abend gefüllt gewesen, doch diesmal stand Schottland im Mittelpunkt. Eines verdeutlichten die Fragen aus dem Publikum: Was auch immer passiert, die Begegnungen dürfen nicht abreißen, mit oder ohne EU-Mitgliedschaft.